Spätestens
mit Immanuel Kant beginnt der unaufhaltsame Vormarsch der Vernunft in aufklärungswillige
Gesellschaften. Die Alt-Königsberger Vernunft wollte rein, praktisch (moralisch) und
ästhetisch sein. Auf ihrem wechselvollen Weg hin zur wahren Humanisierung des
Menschengeschlechts schien aber auch die Vernunft nicht frei von Selbstanfechtungen und
Irrgängen. Instrumentelle und funktionale Vernunft begegnen im 20. Jahrhundert
schließlich der Kritik einer diskursiven Vernunft, die verkürzt besagt, dass
Rationalität mehr ist als nur die Logik des Gelingens in technokratischen Gemeinwesen.
Erst in einer wertsetzenden Vernunft bzw. im herrschaftsfreien Gespräch ermitteln sich
danach die konsensuellen Ziele einer Menschheit, die alle Vernünftigen unterschreiben
müssen, weil sich eben niemand der Vernunft widersetzen kann. So weit, so zirkulär.
Bei so viel philosophischer und
soziologischer Vernunftherrlichkeit fragt es sich, ob auch das Netz vernünftig ist. Aber
schon die Frage leidet an der unübersichtlichen Topografie des Netzes, scheinen doch hier
alle Formen von Vernunft und Unvernunft mehr oder weniger friedlich und fröhlich zu
koexistieren. Gleichwohl: Fördert das Netz die politische Vernunft humaner
Gesellschaften? Werden die politischen und sozialen Bedingungen der Weltgesellschaft im
Netz durch das Netz verbessert oder verhält sich cyberspace neutral gegenüber alten und
neuen Vernunftpostulaten? Als gigantische Aufklärungsmaschine, als omnipotente
Wissensbank lädt gerade das Netz die Aufklärungswilligen und Gesprächsbereiten ein, den
"Weg aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit" in das Diskurs- und
Informationsparadies von cyberspace zu finden. Nie zuvor gab´s es so viel frei
verfügbares Wissen und so viele Gespräche wie in der rapide wachsenden
Online-Weltgesellschaft. Informationelle Selbstbestimmung scheint nirgendwo sonst so
effizient wie hier und das Misstrauen der Mächtigen, das sich jetzt etwa in chinesischen
Regulierungsgelüsten gegenüber dem freien Netzzugang von Bürgern demonstriert, ist
wohlbegründet. Dieser Weg ist unabsehbar und das Prinzip Hoffnung mag auch der
politischen Cyberrationalität die Richtung angeben.
Indes wird nicht übersehen, dass - neben
staatlichen Kontrollansprüchen - gerade das Netz von funktionalen Imperativen und
Machbarkeitsfantasien durchzogen ist, die nicht zuvörderst von der Einlösbarkeit alter
Vernunftideale handeln. "User", "Utilities", "Tools" und die
übrige, unübersehbare Funktionalitätsbegrifflichkeit von Digitalien suggerieren zwar,
dass die Instrumente bereitstehen, um in der Virtualität erfolgreich zu bestehen. Aber
das ist nicht der Vernunftdiskurs, der den Alt- und Neuvätern des Aufklärungsprojekts
notwendig erscheint. Eine politische Cyberkultur wird ihre "telekommunikative
agora" pflegen müssen, wenn Demokratie und politische Kultur nicht zum folgenlosen
Chat verkommen sollen. In der Flüchtigkeit virtueller Begegnungen gilt es, die primären
Tugenden des politischen Gesprächs gegen die Rasanz des Zeitgeistes und neue
Wahrnehmungsverluste zu kultivieren. Der Geschwindigkeit der Begegnungen und der
allgegenwärtigen Kommunikationseuphorie korrelieren nicht umstandslos die
fragile...
Hier geht
der Text natürlich weiter, aber wo ist er geblieben?
Goedart
Palm
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