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Der Trashpalast von Megaloheliopolis

(Vorderansicht - was auch sonst)


Scan Kidney
in
ultrageheimer Mission
auf
Megaloheliopolis


Es war ein wunderschöner Tag auf Neusirius, aber Scan Kidney hatte keine Zeit, einen weiteren Cybermokka in der Lounge-Lizard-Bar zu schlürfen. Just als er das leicht heruntergekommene Hotel mit dem eigenartigen Namen „Lemmy Caution" verließ, sah er auf der anderen Straßenseite seinen kleinen, widerlichen Verfolger, der ihm seit drei julianischen Cyberwochen auf den Fersen war. Das Kapitel würde er jetzt auch endgültig zuklappen. Scott zog den gerade upgedateten Cyberblaster von Deathtronics Inc. aus dem giftgrünen Velourshalfter und in einer blitzartigen Bewegung zielte er. Es machte wham, wham...zwei kurze, trockene Stöße von letaler Lust...der phosphorisierende Glibberkerl wurde vom Boden weggerissen und verschwand irgendwo im Nirwana. Nur sein rauchender Sockel blieb wie ein tieftrauriges Denkmal zurück.

Kidney drehte sich um, ohne noch einen Blick nach hinten zu werfen und ging lässig zum nächst gelegenen Zeitportal (Ansicht). Nachdem er die Drehtür passiert hatte, orientierte er sich kurz auf der virtuellen Karte, die ihm seine unbekannten Auftraggeber vom fernen Andromedanebel mit auf den Weg gegeben hatten. Es ging nach Megaloheliopolis, in die vormals 12. Dynastie der Cyberpharaonen, die vom einem Putsch der Palastgarde hinweg gefegt worden war. Kidney entzündete eine Lucky Hyperstrike, verschob sie in seinen rechten Mundwinkel und überlegte kurz, aber präzise. Wenn er den selbst ernannten Hatschsepsut I., vormals Anführer der Putschisten, im westlichen Palastflügel stellen würde, hatte er es nur mit ca. einem Dutzend Cyberleibwächtern zu tun – ein kleines Massaker für ihn, eine unsterbliche Tat für die Menschheit. Kidney durchschritt das Zeitportal in Richtung auf den gigantischen Lichtpalast, dessen scharf geschnittene Silhouette sich in die eisige Nacht hineinschnitt.

Kidney verschenkte keine Zeit und wählte die Prachtstraße, die breit- und großspurig zu den hängenden Gärten des Palastes führte. Er winkte ein Neontaxi heran und gab der Positronik den Auftrag, ihn zu einer artifiziellen Baumgruppe, ca. 200 Universalmeter vor der Palastumzäunung zu fahren. Offensichtlich blieb die Positronik bei der ED-Behandlung ohne Verdacht, Kidney konnte sich auf seinen Identifikator verlassen, er hatte die Rolle eines Bug-Meisters für Wassersmartgärten gewählt...das Neontaxi schoss pfeilschnell in die Nacht und Kidney warf einen desinteressierten Blick auf die gleißende Skyline von Megaloheliopolis. Zu viele aus dem Boden gestampfte Cyberstädte hatte er bei seinen letzten Aufträgen gesehen, um sich für artifizielle Fassaden noch allzu sehr zu interessieren. Kidney drückte die Lucky Hyperstrike ungerührt in das gelbe Kunstleder, das offensichtlich ohne besondere Sensorien zu keiner aufgebrachten Reaktion fähig war. Auf einem Seitentisch lagen einige Hyperlinx-Comix, die von einem armseligen Helden handelten, der ständig in geheimer Mission unterwegs war. Rhodan? Irgendwo hatte er den Namen schon mal gehört. Plötzlich klingelte das hellrote Cyberfon aufdringlich und Kidney fingerte nach dem grazilen Hörer, der offensichtlich seine eigenwillige Form einem Saturnantilopenhorn verdankte: „Hallo?". „Hey Kidney, sind sie lebensmüde, der Palast wird in einem Umkreis von tausend Universalmetern kontrolliert...wenn sie ihr Honorar noch in diesem Leben kassieren wollen, sollten Sie sofort abdrehen." Kidney verzog verächtlich seine Mundwinkel zu einer Grimasse, die jeden Bildhauer vor eine unlösbare Aufgabe gestellt hätte: „Okay, das ist mein Job, verstehen Sie, mein Job, und wie ich ihn exekutiere, überlassen Sie mir. I do it my way. Scan Kidney hat keine Probleme, er löst sie. Im Übrigen, von Überwachung war keine Rede." Die Stimme räusperte sich: „Kidney, von ihrem Auftrag hängt wieder mal das Schicksal der Menschheit ab. Wir können uns auch diesmal keine Fehler leisten." Kidney grumelte unwillig und warf brüsk den Hörer wieder auf die Gabel, die sofort in der mit künstlichem Leopardenfell überzogenen Hyperplastikkonsole verschwand. Dilettanten dachte er gereizt, während das Neontaxi sich langsam senkte und unmerklich auf den Boden federte, Kidney stieß die Tür auf und sprang auf den Elastoasphalt, der definitv Antigraveigenschaften hatte.

Im Schatten der künstlichen Platanen zog er seinen Kraftfeldstecher heraus, richtete ihn auf das barocke Eingangstor, das von zwei violettfarbenen Stuckmarmorplastiken eingerahmt war, die entfernt an Mondkälber erinnerten, wie er sie auf Alpha Centauri (Ansicht) gesehen hatte. Kidney checkte mit einem Blick die Figuren, die in eine Art Feld-, Wald- und Wiesendrillich der Prätorianerhilfstruppen verpackt waren. Das sah nicht allzu schwer aus. Kidney ging zielstrebig auf das Tor zu und eine mürrische Gestalt, vielleicht drei Universalmeter groß, mit einem Ring von nervös vibrierenden Tentakelarmen, offensichtlich der Anführer dieser traurigen Truppe, forderte ihn auf, sich auszuweisen. Kidney drückte unmerklich auf den Identifikator in seiner linken Westentasche und seine ED-Nummer erschien in magentafarbenen Digitalzeichen auf seiner goldglänzenden Brustplatte. Der Kontrolleur zog mit seinem äußersten Tentakel eine Apparatur aus seiner Hosentasche, und Kidney hätte fast, nur eine Nanosekunde lang, die Situation falsch gecheckt und dieses überflüssige Kreatur weggefegt, aber klar...der Validator überprüfte seine Identität und ein breites Grinsen lief über Kidneys Gesicht, als der groteske Wächter die Lichtschranke ausschaltete.

Kidney ging pfeifend an diesen Zeugnissen cyberrassischer Unzulänglichkeit vorbei und gelangte in den Vorhof, dessen zahlreiche Ampelanlagen einen durchschnittlichen Eliminator vielleicht einen Moment verunsichert hätten. Kidney stellte sich auf das Förderband, das ihn in den westlichen Palastflügel bringen sollte. Hier herrschte rege Betriebsamkeit und hastende Schattengestalten tauchten auf und verschwanden. Plötzlich stand eine hoch gewachsene Blondine neben ihm, die offensichtlich viel Zeit beim Cyberplastiker verbracht hatte. Kidney wanderte mit den Augen ihre Serpentinen ab, leider blieb nicht viel Zeit, seinen Auftrag zu erledigen, die Rettung der Menschheit konnte auch diesmal nicht warten und Kidney konzentrierte sich wieder auf seine humanen Absichten – nicht ohne Bedauern, sich mit dieser Cyberodaliske nicht weiter befassen zu können. Der Westflügelbereich war erreicht, ein Blick auf die Uhr, in ca. 10 Minuten musste das gegenwärtige Menschheitsübel hier irgendwo auftauchen und Kidney stellte sich unauffällig vor eine Informationstafel, die die Vorteile einer Militärlaufbahn in der Cyberarmee Hatschsepsuts I. anpries.

Plötzlich sah er eine große Gruppe von Palastwächtern auftauchen, in ihrer Mitte eine Sänfte, in der, dem äußeren Anschein nach zu urteilen, der Imperator saß. Kidney entsicherte den Cyberblaster unmerklich unter seiner fotonensicheren Jacke und wartete, nur noch wenige Sekunden, jetzt war die Sänfte, die auf Antigravkufen lief, in unmittelbarer Nähe. Kidney riss seine Todesspritze aus dem Halfter, wham, wham ...der Blaster durchschlug den schusssicheren Firewall, als ob es Papier wäre...undeutlich sah Kidney eine schmächtige Figur...Hatschsepsut I. klappte um wie ein Zinnsoldat, den ein Windbrise erfasst. „Hatschse la vista" schickte ihm Kidney ungerührt nach. Auftrag erledigt! Jetzt musste Kidney nur noch entkommen, eine Gruppe von vielleicht zehn Palastwächtern kam auf ihn zu. Kidney reagierte eiskalt, mit seinem tollwütigen Blaster richtete er ein Bad künstlicher Flüssigkeiten an, es spritzte aus den Aliens grün, blau und gelb, das Cyberplastik flog in alle Richtungen, nur unterbrochen von den trockenen Blasterstößen, die Kidney gnadenlos auf die nachrückenden Angreifer verteilte. Die Fotonenschläger der antiquierten Waffen der Wächter prallten natürlich ergebnislos an ihm ab. Viel Rauch um nichts. Kidney blies sich den leicht brandigen Staub von der Schulter, lud nach und ging sicheren Schritts zurück zum Ausgang, nicht ohne sich eine weitere Lucky Hyperstrike in den rechten Mundwinkel zu stecken.

Klar, inzwischen hatten die Torwächter die Laserschranken herunter gelassen, aber Kidney hatte selbstverständlich seinen Decoder nicht vergessen, diese schneidigen Lichtschranken zu durchbrechen... noch ein-, zwei Mal gebrauchte er seinen Blaster, ohne sich sonderlich um die wild gestikulierenden Aliens zu bekümmern, dann war´s endgültig vollbracht. Er konnte zufrieden sein, die Menschheit war wieder gerettet, eine Dynastie Hatschsepsut I., dieses polyphrenen Putschisten mit den Welterobererallüren, würde es in diesem Paralleluniversum nicht mehr geben. Kidney drehte sich noch einmal um, als er den Palast verließ und sah Rauchsäulen hochsteigen. Offensichtlich hatte er auch die Versorgungsapparaturen devitalisiert und im Hintergrund hörte er die schrillen Alarmsignale der Cyberlöschzüge. Das tat ihm Leid, weil er kein unschuldiges Cyberleben auslöschen wollte. Er würde mit Deathtronics Inc. noch ein ernstliches Gespräch über die Streuwirkung dieses Blasters führen, aber der Cheftechniker würde wie immer sagen, dass da, wo gehobelt wird, auch Späne fallen.

Einen Moment war Kidney irritiert. Irgendetwas schien an seinem Schuh zu kleben, Kidney sah, dass einer dieser Wächter offensichtlich mit seinem fossilen Blaster ein Stück von seinem Absatz durchtrennt hatte. Na ja, das würde er auf die Spesenrechnung setzen. Kein Problem, einen Preis muss halt jeder zahlen. Kidney blickte hinauf zu den guten, alten Sternen: Morgen ist ein neuer Tag und die Menschheit, so alt sie ist, würde neue Probleme haben. Es gab noch viel zu tun.

Goedart Palm

 

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Copyright. Dr. Goedart Palm 1998 - Stand: 05. Juni 2018.