"Dies
ist nicht eine Frage der Autorität, es ist eine Frage des Willens." (Präsident
Bush, 17. März 2003)
Bush habe komplett
die Verbindung zur Realität verloren, meinte unlängst der Wirtschaftsprofessor Paul
Krugman: Die Entmachtung Saddams ist inzwischen eindeutig eine Obsession
geworden. Nun könnte die Wirklichkeit jedoch selbst wieder Kontakt mit dem
US-Präsidenten aufnehmen, wenn er diese Obsession in einigen Wochen ausgelebt haben
dürfte. Eine dieser Wirklichkeiten sollte die Frage sein, ob sich Bush, Blair, Aznar und
die anderen selbstermächtigten Kriegsherren in naher oder ferner Zukunft für das nun
einsetzende Gemetzel vor dem Internationalen Strafgerichtshof oder einem vergleichbaren
Tribunal rechtfertigen müssen. Die USA haben zwar das Statut nicht unterzeichnet, aber
das allein dürfte im Blick auf andere historische Prozesse dieser Art, denen
Kriegstreiber auch ohne ihre vorhergehende Einverständniserklärung unterworfen wurden,
weniger das Problem sein, als eben die pure Gewalt, sich dem Recht und der Rechenschaft zu
entziehen. Rechtsexperten streiten heftig über die Frage, ob der nun ausgebrochene Krieg
rechtmäßig ist. In einem offenen Brief zweifelten sechzehn britische Jura-Professoren
die Legitimität dieses Krieges auf der Basis der UN-Resolution 1441 an
(http://news.bbc.co.uk/2/hi/uk_news/politics/2829717.stm). Nach der Meinung der Experten
wäre dieser Krieg nur gerechtfertigt, wenn er der Selbstverteidigung gegen einen
bewaffneten Angriff dient oder wenn eine neue Resolution des Sicherheitsrats dazu
ermächtigt.
Bushs Doktrin
präventiver Selbstverteidigung ist völkerrechtswidrig
"Diese Charta
beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten
Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven
Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der
internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat" (Artikel 51 der
UN-Charta (http://www.uno.de/charta/charta.htm).
Nach Professor
Colin Warbrick (http://www.dur.ac.uk/Law/deptment/warbrick.html), Jura-Professor an der
Durham University, scheitert das Selbstverteidigungsargument Bushs bereits daran, dass der
Irak nicht mit einem Krieg droht und weiterhin auch keine Verbindungen zwischen Bagdad und
terroristischen Gruppen, die eine solche unmittelbare Bedrohung darstellen könnten,
nachgewiesen sind. Dass Bush einen fortschreitenden Abrüstungsprozess mit unilateraler
Gewaltausübung zur Unzeit unterbricht, entlarvt bereits faktisch die Perfidie der
bushistischen Selbstverteidigungsrhetorik.
Betrachtet man den
historischen Diskurs zum präventiven Krieg wird die Unrechtmäßigkeit des gegenwärtigen
Angriffs auf den Irak zum gegenwärtigen Zeitpunkt besonders deutlich. Hugo Grotius
(http://www.tu-berlin.de/fb1/AGiW/Scriptorium/S9.htm) (1583-1645), der die Lehre des
gerechten Krieges entwickelte, hielt Selbstverteidigungskriege für zulässig. Präventive
Kriege als Selbstverteidigungsakte werden in der Folge dieses juristischen Diskurses daran
gemessen, ob auf Grund einer sorgfältigen Prüfung ein Angriff in der allernächsten
Zukunft besonders wahrscheinlich ist. Der frühe Schweizer Völkerrechtler Emmerich de
Vattel (1714-1767) hatte demgemäß einen präventiven Krieg für zulässig erklärt, wenn
er sich nicht auf vage und zweifelhafte Verdächtigungen stützt
(http://www.constitution.org/vattel/vattel_03.htm). Anderenfalls würde der präventiv
agierende Staat selbst zum Aggressor. Auf Grund des hohen Missbrauchsrisikos trägt der
präventive Angreifer daher die volle Beweislast für die behauptete Wahrscheinlichkeit
eines bevorstehenden Angriffs auf ihn. Der US-Außenminister Daniel Webster (1782-1852)
forderte anlässlich des berühmten, von Bush und seinen Rechtsberatern offensichtlich
verdrängten "Caroline-Falls" für diesen hochproblematischen Kriegstypus
(http://www.irp.uni-trier.de/05_Tomuschat.pdf), dass die Selbstverteidigung unmittelbar
notwendig ist, die Gründe "erdrückend" sind und das Prinzip der
Verhältnismäßigkeit beachtet wird.
(http://www.monde-diplomatique.de/pm/2002/09/13.mondeText.artikel,a0040.idx,12):
...instant, overwhelming, leaving no choice of means, and no moment for
deliberation.
Selbstverteidigungskriege
setzten daher auch jenseits einer UN-Resolution voraus, dass die Verhältnismäßigkeit
eines Präventivkrieges und die Wahrscheinlichkeit eines unmittelbar bevorstehenden
Schadens besonders skrupulös zu beurteilen sind. Nicht nur die Ergebnisse der
Waffeninspektoren sprechen eindeutig dafür, dass vom Irak keine unmittelbare Gefahr
ausgeht. Selbst die USA haben nichts dafür vorgetragen, dass der Irak atomare
Massenvernichtungsmittel besitzt. Die B- und C-Bedrohungen stützen sich nur auf
Vermutungen - trotz einer großen Zahl von UN-Kontrollen und geheimdienstlichen
Tätigkeiten diverser Staaten. Die übrigen Gefahrenszenarien, die Bush in seiner
Rhetorik vernebelt, sind zu keiner Zeit je über das Stadium der Propaganda
hinausgegangen.
Statt der äußerst
restriktiven Anwendbarkeit des Selbstverteidigungsarguments hat Bush mit seiner, von jeder
historischen Erfahrung unbelasteten Präventionsdoktrin
(http://www.heise.de/tp/deutsch/special/irak/13166/1.html) diesen Kriegsgrund so
aufgeweicht, dass praktisch alle potenziellen bis hin zu völlig imaginären Gefahren als
Kriegsgründe ausreichend sein sollen. Auf die weitere Praxis dieser Doktrin darf man so
gespannt sein wie auf den Diskurs, wie die Weltgemeinschaft mit rücksichtslosen
Hegemonialstrategien (http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/13286/1.html) zukünftig zu
leben gedenkt. Zusätzlich hat Bush das fragile Selbstverteidigungsargument auch noch
dadurch entwertet, dass er nun die Notwendigkeit seines Krieges in der Befreiung des
irakischen Volkes erkennen will. Fazit: Dieser Krieg ist nach den völkerrechtlichen
Anforderungen an einen Selbstverteidigungskrieg illegitim.
Zum
Missbrauch des UN-Sicherheitrats
"Amerika
hat versucht, mit den Vereinten Nationen zusammenzuarbeiten, um auf diese Bedrohung zu
antworten, weil wir die Frage friedlich lösen wollten. Wir glauben an die Mission der
Vereinten Nationen." (Präsident Bush, 17. März 2003)
Nicholas Grief
(http://www.3paper.co.uk/profiles/Grief-Nicholas.htm), Rechtswissenschaftler an der
Bournemouth University, verweist auf die Rechtsmeinung, dass ohnehin jeder Krieg, der
nicht durch den UN-Sicherheitsrat gebilligt werde, grundsätzlich einen Verstoß gegen die
UN-Charta darstellt. Grief zufolge sollten Bush und Blair daher ernsthaft um die Frage
besorgt sein, ob sie sich nicht in einigen Jahren für diesen Krieg vor einem Tribunal zu
verantworten haben.
Professor
Anthony Aust, bis vor kurzen Chef-Rechtsberater des britischen "Foreign and
Commonwealth Office" (http://www.ucl.ac.uk/laws/people/parttime/aust.html), geht
indes wie das Kriegstriumvirat auf den Azoren und maßgeblich auch der britische
Außenminister Jack Straw davon aus, dass mit der Sicherheitsrats- Resolution 1441
bereits eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage vorliegt (http://news.bbc.co.uk/2/hi/uk_news/politics/2849131.stm).
Hier
stellt sich zunächst die Frage nach der richtigen Auslegung, da die Resolution 1441
von ernsthaften Konsequenzen für den Irak spricht. Nach Colin Warbrick wäre
indes auch die Entscheidung über die Interpretation der Klausel wiederum eine
Angelegenheit des Sicherheitsrates selbst. Auch dem deutschen Völkerrechtler Gerd Seidel
(http://www.n-tv.de/3103250.html) zufolge muss der Sicherheitsrat die Frage beantworten,
ob überhaupt eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit durch den
Irak vorliegt. Wenn der Sicherheitsrat über den Bedeutungsgehalt seiner eigenen
Resolutionen wie offensichtlich im vorliegenden Fall uneins ist, obliegt es alleine diesem
Gremium, entweder eine klärende Entscheidung über die Reichweite der Resolution 1441
herbeizuführen oder eine zweite, explizite Resolution zu verabschieden, die Art und
Umfang der Maßnahmen und insbesondere auch Fristen festlegt, um die Voraussetzungen eines
zulässigen Kriegseinsatzes so weit zu konkretisieren, dass "last resort" nicht
"prima ratio" wird.
Folgt man dieser
Argumentationslinie wird deutlich, dass sich Bush und Blair mit dem jetzigen Beginn der
Aggressionen eine rechtswidrige Definitionshoheit anmaßen, die den Sicherheitsrat und
seine aus vielen historischen Gründen entwickelte Logik - einvernehmliche Ausschöpfung
aller friedlichen Möglichkeiten - grob missachtet. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass
sich die Veto-Mächte Frankreich und Russland expressis verbis gegen diesen Krieg und auch
gegen die Interpretation der Resolution 1441 im Sinne der amerikanisch-britischen
Vorausverteidigung ausgesprochen haben, ist die Auslegung der
kriegsentschlossenen Parteien nicht lediglich eine Umgehungsstrategie, sondern eine
vorsätzliche Verletzung der UN-Charta. Das Nichteinbringen des zweiten amerikanischen
Resolutionsentwurfs untermauert die Absicht, eine Kriegspolitik in bewusster Missachtung
der Mehrheit der Mitglieder im Sicherheitsrat verfolgen zu wollen. Bush und Blair
können sich später also nicht auf einen Interpretationsfehler, eine respektable
Mindermeinung oder einen Verbotsirrtum bei ihrem illegitimen Krieg berufen, weil sie mit
dem Abbruch der Politik erklären, gegen die UNO, gegen den Sicherheitsrat, gegen die
Regeln des Völkerrechts, gegen das Ultima-Ratio-Prinzip des Krieges verstoßen zu wollen.
Die
Kriegsallianz begründete das Nichteinbringen der zweiten Resolution indes damit, diese
wäre zwar politisch wünschbar, aber im Blick auf die Resolution 1441 nicht notwendig
gewesen. Auch hier lässt sich insbesondere beim US-Präsidenten ein fundamentales
Missverständnis über die Funktionen der UNO und des Sicherheitsrats feststellen. Denn
Resolutionen des Sicherheitsrates sind keine politischen Good-Will-Kampagnen, sondern
Rechtsakte, die entweder notwendig sind oder nicht. Selbst wenn der amerikanische Versuch
erfolgreich gewesen wäre, die Stimmen der unentschlossenen Nationen mit höchst
zweifelhaften Methoden zu kassieren, hätte das auch im Fall des Zustandekommens
einer ausdrücklichen Kriegsresolution gegen den Irak nichts an der
Rechtswidrigkeit dieses Krieges zum gegenwärtigen Zeitpunkt geändert. Selbst der
Sicherheitsrat besitzt nicht das unumschränkte Recht, militärische Gewalt zu
autorisieren. Denn eine solche Resolution würde der UN-Charta widersprechen, alle
Möglichkeiten einer friedlichen Konfliktlösung auszuschöpfen.
Verstoß
der Kriegsallianz gegen die UN-Resolution 1441
Weiterhin
wird der Krieg der Bush-Koalition auch dadurch unrechtmäßig, dass er zum jetzigen
Zeitpunkt der UNO-Resolution 1441 zuwiderläuft. Denn das vom Sicherheitsrat erklärte
Ziel der Waffenkontrolle und Abrüstung, das bisher erfolgreich verfolgt wurde, wird durch
den Krieg gerade vereitelt. Solange der Irak abrüstet, unterwirft er sich der Resolution
- zumal die Resolution keine zeitlich eindeutigen Vorgaben gemacht hat. Die Entscheidung,
ob die Abrüstung und Offenbarung von Waffen ausreichend ist, konnte nur auf der Grundlage
der Waffeninspektionsberichte getroffen werden. Der Sicherheitsrat hatte die UNMOVIC
(http://www.un.org/Depts/unmovic/) und IAEA (http://www.iaea.org/worldatom/) beauftragt,
diese Fragen zu untersuchen - weder den britischen Premier noch den Präsidenten der USA,
der viele Wege gefunden hat, seine Kriegsentschlossenheit nicht durch Diplomatie
unterminieren zu lassen.
Es ist daher
zynisch, wenn der britische Außenminister Straw Bush sekundiert, es ginge darum, die
Autorität der Vereinten Nationen zu erhalten, dass ihre Resolutionen auch ausgeführt
werden. Selbst das Plenum der Vereinten Nationen, nicht nur der UN-Sicherheitsrat, hat
sich öffentlich mehrheitlich und vehement gegen diesen Krieg ausgesprochen. Bush und
Blair ersetzen die Vereinten Nationen daher durch eine imaginäre UNO, die sie angeblich
repräsentieren. Die Auffassung Straws ist dagegen juristisch abwegig, dass die
Sicherheitsratsmitglieder gewusst hätten, welche Bedeutung der UN-Resolution 1441
zukomme. Selbst wenn diese Resolution Krieg implizieren würde, was weder ihre
Interpretation noch die gegenwärtigen Fakten hergeben, stünde es dem Sicherheitsrat auch
frei, seine Entscheidungen neu zu justieren.
Für Kofi Annan
stellt der Waffengang ohne zweite Resolution daher zu Recht einen Bruch der UN-Charta dar
(http://news.bbc.co.uk/2/hi/middle_east/2850043.stm). Es bleibt der grausame Zynismus
dieses Feldzugs, dass ein outlaw regime (O-Ton: Bush) nun unter
Voraussetzungen bekämpft wird, die ihrerseits außerhalb des Gesetzes stehen, mithin
nicht weniger outlaw sind. Von der Logik der UN-Charta her müssten gemäß
Art. 1 Nr. 1 nun wirksame Kollektivmaßnahmen getroffen werden, um die
amerikanisch-britische Bedrohung des Friedens zu verhüten und zu beseitigen. Nur dürfte
sich nach der faktischen Demontage des UN-Sicherheitsrates und der ab jetzt wieder
erweckten Logik gewaltbereiter Willkür niemand mehr finden lassen, der dem entfesselten
Leviathan Einhalt gebietet. Der Krieg wird bald vorbei sein, die von Bush und Blair
angerichteten schwersten Schäden für das Recht der Völkergemeinschaft sind dagegen
längst nicht abzusehen, von der nun einsetzenden humanitären Katastrophe ganz zu
schweigen. Hoffen wir darauf:
"Kriegsverbrechen
werden verfolgt werden, Kriegsverbrecher werden bestraft werden, und es wird keine
Verteidigung sein zu sagen 'Ich habe nur Befehle ausgeführt'." (Präsident Bush,17.
März 2003).
Goedart Palm
SWR2
Forum
Mi., 26.03.2003
Krieg der Bilder - Die Funktion der Medien im Irak-Krieg
Gesprächsleitung: Dietrich Brants
Gesprächsteilnehmer: Prof. Dr. Romy Fröhlich, Kommunikationswissenschaftlerin,
Universität München, Andreas Zumach, Journalist und der Publizist Goedart Palm
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