Jonathan
Littell präsentiert den fiktiven Lebensbericht des SS-Offiziers Dr. Max
Aue als naturalistisch obsessives Epos, um das Pandämonium des Krieges in
möglichst vielen Facetten zu schildern. In Frankreich wurden „Die
Wohlgesinnten“ ("Les Bienveillants") rund 800.000 Mal
verkauft, in Deutschland erreicht der Roman mühelos die Spitze der
Beststellerlisten. Ungewöhnlich bis skandalös erscheint die Wahl einer
zuvor literarisch und moralisch verschlossenen Perspektive, die dem jüdischen
Autor entweder als fragwürdiger Kunstgriff oder genialische Konversion
ausgelegt wurde. Wichtiger als der Inhalt ist der literarischen Öffentlichkeit
Deutschlands bekanntlich der dissensorientierte Diskurs, der sich wie
immer darin überbietet, hitzige Literaturinterpretationen als
kanonisierbare Geschichtsexegesen vorzustellen, wenn der Buchdeckel noch
nicht ganz zugeklappt ist. Meinung ist wichtiger als Lektüre, was
immerhin den pädagogischen Effekt beschert, gelegentlich eher
unerreichbare Leser anzuwerben. Das weiß nach einigen harten
Online-Jahren auch die FAZ, die eigens zur Lektüreverarbeitung dieses Wälzers
einen virtuellen Readingroom (readingroom.faz.net/littell) präsentiert.
Hier wird dickleibige Literatur als leidlich unterhaltsamer
Blogger-Dir-einen-Diskurs inszeniert, um die flüchtige Aufmerksamkeit
wenigstens hin und wieder auf Texte zu lenken, die beanspruchen, mehr zu
sein als visuelle Benutzeroberflächen. Ist dieser Roman über einen
knietief in Blut und anderen Flüssigkeiten watenden SS-Mann nun eine
echte literarische Entdeckung, wie es der dem Autor gerade verliehene Prix
Goncourt vermuten lässt, oder als spekulative Blut- und Hodenliteratur
die Fortsetzung des Splatter-Channels mit literarischen Mitteln?
Für die
WELT ist Jonathan Littell
jedenfalls nicht mehr als ein aufmerksamkeitsheischender
„Nazi-Synthesizer“: „Kann es sein, dass Littell mit „Die
Wohlgesinnten“ gar kein literarisches Neuland betritt, sondern nur
einsammelt, was je über das größte Menschheitsverbrechen gesagt und
geschrieben wurde? Und als Frucht fleißiger Lektüre bastelt er seine
Figur Max Aue nach der Maßgabe der Tabuverletzungsoptimierung: Nazi,
Intellektueller, Deutscher, Franzose, Homosexueller, inzestuöser
Heterosexueller, Magenkranker.“ Das Verdikt, kein literarisches Neuland
zu betreten, beschreibt kaum mehr als eine lässliche Sünde, da solche
herbeigesehnten Aufbrüche vor allem ein Desiderat der Feuilletons sind,
so wenig ersichtlich ist, wo die denn in den letzten Jahrzehnten überhaupt
noch stattgefunden hätten. Der Wechsel von der Opfer- zur Täterperspektive
scheint uns dagegen mehr zu sein als ein bedingt tauglicher Kunstgriff,
der jene Aufmerksamkeit garantiert, die eine bloße Aneinanderreihung von
barbarischen Ereignissen allein nicht erzielt hätte.
Iris
Radisch lässt an Jonathan Littell indes kein gutes Haar. Der spiele
1400 Seiten lang den SS−Obersturmbannführer und betreibe
Nazi-Veredelung. Sie erregt sich über die Konstruktion des Protagonisten
Dr. Aue: „Er ist kein blinder Technokrat, sondern ein Edelnazi, der die
Judenfrage gerne kühler, sachlicher und vor allem für das Deutsche Reich
effizienter gelöst hätte. Immer wieder wird in dem Roman suggeriert: Mit
diesem, dem intellektuellen, dem nüchternen und geläuterten und nicht
durch »viele Mechanismen der Entscheidungsfindung pervertierten und
verderbten« Nationalsozialismus hätte man auskommen können. Über eine
derartige Ehrenrettung des gehobenen Nationalsozialismus muss nicht
debattiert werden.“ Obwohl Radisch dem Autor ausdrücklich bescheinigt,
dass die ungewöhnliche Perspektive des Romans nicht das Problem sei,
gereicht es Littell wohl zum Verderben, dass er das Verderben nicht so
erlesen verdorben schildert, wie wir es uns immer vorgestellt hätten,
wenn wir denn gewusst hätten, wie diese Vorstellung funktioniert.
Verfluchte Imagination. In diesem Vorwurf steckt ein paradoxes
Darstellungsproblem jeder Literatur, die nicht zu beschönigende
Wirklichkeiten ästhetisiert, weil sie sich den medialen Konsequenzen der
Literatur respektive Sprache nicht entziehen kann. „Moderne ist Kunst
durch Mimesis ans Verhärtete und Entfremdete.“ Mit dieser plakativen
Losung Theodor W. Adornos war das Problem längst nicht gelöst. Wie
gelingen Darstellungen des Grauens, wenn die Konstruktion verschlossen
ist, Literatur und unerträgliches Leid zur anspruchsvollen Lektüre zu
verschweißen? Die „Banalität des Bösen“ hieß auch, dass
barbarische, zugleich aber wenig spektakuläre Umstände zu beobachten
sind, ohne die Genese des Schreckens erschöpfend zu erklären. "Die
wirkliche Gefahr - vor allem in unsicheren Zeiten - sind die gewöhnlichen
Menschen, aus denen der Staat besteht. Die wirkliche Gefahr für den
Menschen bin ich, seid ihr", sagt Aue. Und in dieser Aussage blinzelt
Littell dem selbst gerechten Leser einschließlich seiner Kritiker zu, die
den Schrecken überall, aber immer jenseits ihrer Identität verorten.
Auch die
gegenwärtig gern eingesetzte Begriffskeule „Geschichtspornografie“,
zuletzt traf es Guido Knopp, zerschlägt
nicht die literarischen Aporien, die mit Littells Darstellungsproblem
verbunden sind. Die Menschheitsgeschichte ist durch und durch
pornografisch und wird es nicht erst durch ihre drastische Nachstellung in
einem Medium, das in virtuellen Zeiten die Gnade gewährt, unsinnlich zu
sein. "Die Wohlgesinnten" des 40-jährigen, französisch
schreibenden Amerikaners Jonathan Littell ist ein großartiges Buch, mag
es auch zu den grausamsten der Weltliteratur gehören.“, verteidigt
Klaus Theweleit den Autor gegen die Übermacht der Kritiker. Theweleit hat
immerhin seine Sensibilität im Umgang mit faschistischen Macht- und Körperideologien
bewiesen. Eine völlig andere Lektüre finden wir bei Wolf Scheller:
„Das alles aber rauscht über uns hinweg wie ein gigantischer
Wasserfall, ein gefühls- und lebensloser Wortschwall“.
Der SS-Mann als literarische Figur
Funktioniert
dieser Text als psychologischer Roman der Einfühlung oder ist Dr. Aue so
konstruiert, „wie sich eben der kleine Moritz die Finsterlinge aus
Himmlers "Orden unter dem Totenkopf" vorstellt“ (Wolf
Scheller). Wie stellt man sich überhaupt SS-Leute vor, wenn man keiner
ist? Insofern fällt die Kritik an dem vermeintlichen Kitsch-Kolporteur
und Nazi-Veredler Littell schnell auf sich selbst zurück, wenn einige
verdrossene Chefleser die psychologische wie narrative Authentizität des
Bösen anmahnen. Es wäre eine vertrackte Erkenntnis, wenn nur das Böse
seine eigene Wahrheit beschreiben könnte, die uns Guten auf ewig
verstellt ist. Wie funktionieren eigentlich literarische Konstruktionen
jenseits von Geständnis und Selbstreflexion? „Madame Bovary bin ich!“ Flauberts Behauptung beschreibt eine
identitäre Beziehung des Autors zu seinen Geschöpfen, die über
Rollenprosa weit hinaus geht. Doch zugleich konnte er behaupten, eine völlig
fiktive Geschichte zu erzählen. Dichtung und Wahrheit könnten identische
Zustände sein, wenn es um die Konstruktion von Innenwelten geht. In der
Tradition der introspektiven Durchleuchtung des nachantiken Helden wie
Antihelden gilt ein Roman dann als gut, wenn einem Autor das paradoxe
Kunststück gelingt, gottgleich noch in seine abgründigsten Helden
hineinzuschlüpfen, bis sie schließlich ein Eigenleben selbst gegen den
Willen ihres Schöpfers führen.
In einer
Zeit, die der egologischen Irritation „Ich ist ein Anderer“ frönt,
ist Identität aber eine fragile, wenn überhaupt noch zu rettende
Kategorie geworden. Versetzt sich Littell nun wirklich in die Seele seines
Protagonisten, wie es Flauberts Anverwandlung von Emma Bovary prätendiert?
Dr. Aue entsteht als ein multiples Mischwesen, dem in unzähligen persönlichen
und historischen Verstrickungen bestenfalls schizoide Züge attestiert
werden könnten. Mitleiden und Mitfühlen haben ihre Grenze in einem
abgeschlossenen Nervensystem, das eben bislang nicht telematisch mit
anderen Nervensystemen konnektierbar ist. In Zukunft könnte das Programm
einer psychologisch einfühlenden Literatur zu einer technische
Versuchsanordnung werden. Psychen könnten, wenn man den „Bauplan für
eine Seele“ (Dietrich Dörner) für möglich hält, virtualisiert
werden, was über die moralische Qualität solcher Verfahren noch nichts
sagt. Gegenwärtig bleibt uns die experimentelle Seelenwanderung noch
verwehrt. Innenwelten wurden zwar oft konstruiert, auch die von
beispiellosen Bösewichten, doch deren Plausibilität war zuvörderst eine
Glaubensangelegenheit. Dostojewski, der Littell von diversen Kritikern
immer wieder vorgehalten wird, hat sich in die Abgründe verbrecherischer
Psychen gestürzt. „Nachtportier“,
ein Spielfilm der italienischen Regisseurin Liliana Cavani aus dem Jahr
1974, präsentierte den ehemaligen
SS-Offizier Maximilian Theo Aldorfer, der 13 Jahre nach Kriegsende als
Nachtportier in einem noblen Wiener Hotel arbeitet. Die Wiederbegegnung
mit der einstigen Lagerinsassin Lucia Atherton wird in düsteren Überblendungen
der sadomasochistischen Beziehung mit traumatischen Bildern der
KZ-Vergangenheit erzählt. Dieser Film wurde in Italien zum Politikum,
erst verboten, dann auf Druck von prominenten Filmkünstlern freigegeben.
Stein des Anstoßes war auch hier, dass dieser Film die Geschehnisse
zumindest teilweise aus der Perspektive des
Täters schildert und moralisch zweideutig
ist. Was also denkt und fühlt ein SS-Mann bei seinen Taten? In der
Resonanz auf den Roman Littells stört die simplizistische Unterscheidung,
entweder eine solche Psyche für darstellbar zu halten oder aber auf die
Singularität und Inkommensurabilität des Bösen zu verweisen. Das ist
als zweiwertige Seelen- wie Literaturtheorie zu wenig. Denn wenn
historische Ereignisse auch einzigartig und unwiederholbar sein mögen,
erschließt sich das komplexe Zusammenspiel vieler Faktoren, die für sich
betrachtet alles andere als magisch oder satanisch erscheinen, in dieser
Feststellung nicht. Diverse Kritiker suchten vergeblich nach der
psychologischen Mutation des akademisch gebildeten Aue in einen kalten
Massenmörder. Einer der Hauptverteidiger des Werks, Klaus Theweleit,
sieht das richtig: „Natürlich funktioniert die "Charakterstudie
Max Aue" nicht; weil sie gar nicht intendiert ist. Littell benutzt
seinen "Aue", um möglichst viele Facetten des Nazireichs, des
Krieges, der SS, der Vernichtungslager, der kalten Gewalt, der
sexualisierten Gewalt, der Bürokratie zu zeigen; er muss ihn also
"multifunktional" anlegen, nicht charakterologisch.“ Diese
Figur ist nichts anderes als ein Aleph des Schreckens, ein simultaner Ort
der Beobachtung, der - Jorge Luis Borges zufolge - alle anderen Orte
visualisiert. Der Widerstand gegen einen Charakter, der keiner ist, ist
also das Dilemma dieser Diskussion, die vielleicht dem Historikerstreit
einen Kritikerstreit zur Seite stellt und wie jener vorzugsweise im
Streitstadium verharren möchte.
Der Führerbefehl als kategorischer Imperativ
Dr.
Max Aue wird als „Konglomerat SS-Mann“ (Klaus Theweleit) zu
einer Rollenzumutung. Das ist keine psychologische Schilderung, sondern
ein inkarnierter Eklektizismus, der die Kultur verrät, auf die er sich
beruft. Dass der Nationalsozialismus oft genug die moralische Elastizität
bürgerlicher Kultur vor Augen führte, konnte man spätestens sei
Heideggers Rektoratsrede am 27.05.1933 beobachten, als das professorale
Publikum die Zeremonie mit dem Absingen des Horst-Wessel-Liedes krönte.
Heidegger teilte einige Tage zuvor noch dem badischen Kultusministerium
mit, man müsse alles daran setzen „um die Welt der Gebildeten und
Gelehrten für den neuen nationalsozialistischen Geist zu erobern.“ Auch
Littell zeigt, wie sich die Implementation des Geistes in den
nationalsozialistischen Kontext fast mühelos bewerkstelligen lässt.
Verkoppelt man die Kantische Pflichtethik mit dem Prinzip „Führerworte
haben Gesetzeskraft“ gelangt man zu einem neuen, nicht weniger
kategorischen Imperativ: „Handle so, dass der Führer, wenn er von
deinem Handeln Kenntnis hätte, dieses Handeln billigen würde. Es gibt
keinen Widerspruch zwischen diesem Prinzip und dem kategorischen
Imperativ.“
In diesem Gespräch Aues mit Eichmann wird die Anschlussfähigkeit der
moralischen Meisterphilosophie an den antirationalistischen Führerkult
demonstriert. Hier wird das Elend fundamental(istisch)er Begründungen
offen gelegt, die fatale Geschmeidigkeit, mit der sich hochmögende Ideen
rekombinieren lassen, um unbehelligt von ihren Ursprüngen zu gefährlichen
Überläufern zu werden. Dialektik der Aufklärung wie der Vernunft. Sind
Intellektuelle besonders korrumpierbar, was bei Dr. Max Aue zum
Euphemismus „weltanschauliche Verwirrung“
heruntergefahren wird? Barbarisch daran ist, dass ihn nicht die Passivität
ob der Hohlheit seiner Ideologie einholt, sondern er weiterhin
aktionistisch, tödlich, final agiert. „Die
tiefsten Motive der NS−Täter sind ein ungelöstes Geheimnis“,
meint Radisch in ihrer Demontage des Romans. Doch woher weiß sie das?
Literatur ersetzt keine Psychologie. Und selbst wenn Literatur als
Surrogat für wissenschaftliche Welterschließungen herhalten muss: Sind
diese Psychen so wertvoll, dass man nur in tiefsten Tiefen fündig würde?
Nach Friedrich Nietzsche darf man ohnehin nicht mehr von Tiefe sprechen,
ohne die platonisch-christliche
Tradition zu verdächtigen, neue „Hinterwelten“ zu propagieren.
Littells
Werk ist kein so großer Wurf, wie es die Preisverleihung und womöglich
die Auflagenzahlen signalisieren, aber es ist längst nicht literarisch
illegitim, weil einigen Kritikern andere
Projektionen von SS-Männern vorschweben oder Aue „eine unbelebte
Projektionsfläche“ (Oliver vom Hove) sei. Auch wenn Radisch das
Buch unerträglich findet, erkennt sie ein Problem, das Literatur als
Medium der Welterschließung immer weniger tauglich erschein lässt.
„Hier liegt das größte Paradox des Romans: Wenn Autor und Erzähler
der Ansicht sind, dass der einzelne Mensch und sein Innenleben für die
Erklärung der deutschen Verbrechen bedeutungslos sind, dann ist ein
Roman, der sich dieser persönlichen Innenperspektive ganz und gar
anvertraut, sinnlos. Dann müssen Strukturzusammenhänge, Funktionsverläufe
und Dokumente, nicht Seelen untersucht werden.“ Dieses Dilemma ist eben
kein Spezifikum der „Wohlgesinnten“. „Nur durch fictio kann das
factum, nur durch Einzelfälle das Unabzählbare deutlich und unvergeßbar
gemacht werden.“ Hier bringt Günther Anders bei seinem „Besuch im
Hades“ auf den Punkt, was Literatur vermag. Doch zugleich bezeichnet das
auch ihre Grenze, die in ausdifferenzierteren Gesellschaften immer
deutlicher wird als zuvor. Wenn die vormalige Zuständigkeit – etwa die
eines Dostojewskis für Verbrecherseelen – von anderen Wissenschaften
vindiziert wird, wird Literatur als Psychologie, als
Geschichtswissenschaft, als Kriminalistik und schließlich auch als
Vergangenheitsbewältigung oder –befreiung ein dubioses Unternehmen.
Leicht
provoziert die bedingt taugliche literarische Welterschließung den alten
Widerwillen der Gesellschaft, auf den Roland Barthes hingewiesen ist:
„Die Gesellschaft wird niemals ein Schreiben anerkennen, das strukturell
an das Verbrechen und das Geschlecht gebunden ist.“ So
wird Littell die „mangelhafte Gestaltung“ vorgeworfen, Aue sei als
„Charakter und Schicksal nicht interessant zu finden“ (Oliver vom Hove).
Hier regt sich der Widerwille gegen Figuren, deren Widerwärtigkeit sich
der Literatur entzieht, ähnlich wie die Moralmonster de Sades, die nicht
zugleich psychologisch und ästhetisch interessant geschildert werden können.
Sie bleiben unerträglich, so wie dieser Dr. Aue unerträglich ist. Aber
vernichtet das gänzlich den relativen Wahrheitswert solcher narrativen
Konstruktionen, der sich nicht auf die psychologische Schlüssigkeit von
Protagonisten verlässt? Hier gilt eine weitere Beobachtung von Günther
Anders: „Jeder Gegenstand infiziert sich kategorial an der Welt, in die
man ihn versetzt.“ Anders wäre auch diese erregte Diskussion über
Littells Werk nicht zu erklären, das barbarische Szenen präsentiert, die
literarisch nicht befriedet werden können. Die vorgebliche „Erzählarmut“
(Wolf Scheller) wäre die Armseligkeit der realen Welt, ohne ihr den
pittoresken Glanz zu verleihen, den idiosynkratische Literaturkritik als
ihr ästhetisches Apriori benötigt, weil anders diese Welt nicht sein
darf. Ginge es lediglich um
Erkenntnisse oder gar nur Erkenntnismöglichkeiten, würden andere
Diskussionen geführt, als sie gegenwärtig die Feuilletons erhitzen.
Vielleicht zeigt diese Erregung vornehmlich, dass Literatur kein
ausreichend komplexes Instrument mehr ist, um die Welt zu verstehen. Es
gibt einen Schrecken, der sich trotz seiner historischen Protokollierung
den Darstellungen der Literatur und gleichermaßen den Verständnishorizonten
der Literaturkritik entzieht. Dafür ist Jonathan Littell indes nicht
haftbar zu machen, so sehr es auch einige Kritiker erzürnt, im Widerstand
gegen dieses Werk auf die Aporien und Vorurteile ihrer eigenen Disziplin
zu stoßen.
Goedart
Palm
Jonathan Littell: "Die Wohlgesinnten". Aus dem Französischen
von Hainer Kober. Berlin Verlag, Berlin; 1388 Seiten
S. 792
S. 1065
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