Léon
Bloy oder der Traum von der neuen heiligen Dreifaltigkeit: Gott, Narziss
und Vaterland
Der Fundamentalkatholik, Erzchauvinist, Preußenhasser
und Exzentriker Léon Bloy (1846 – 1917) ist in Deutschland aus
nachvollziehbaren Gründen nicht allzu präsent. Matthes & Seitz hat
nun mal wieder einen schön gestalteten Band vorgelegt, mit dem Bloys
hiesige Präsenz um ein wichtiges Werk erweitert wird. „Blutschweiß“,
1893 erschienen, thematisiert in 30
konzentrierten Erzählungen den deutsch-französischen Krieg von
1870/71 als apokalyptischen Schrecken, als Vorboten der österlichen
Ankunft „des Heiligen Geistes“. Untrennbar werden Phantasien,
medientaugliche Gräuel und (vermutlich) reale Ereignisse vermischt, um
den Beweis zu führen, dass Gott und Frankreich eins sind, während die
Deutschen als gottlose Hunnen, als Geißel Gottes das gelobte Land
heimsuchen. „Aber wenn Frankreich leidet, dann ist es Gott, der
leidet, dann ist es der schreckliche Gott, der für die ganze Welt
agonisiert, indem er BLUT SCHWITZT.“ Das ist selbst für alte Kämpfer
starker Tobak, der nicht auf historischem, sondern heilsgeschichtlichem
Boden gewachsen ist. Léon Bloy findet in dieser Identitätslogik eine groß
angelegte Metapher, die das durch und durch Böse zwischen Hieronymus
Bosch und Quentin Tarantino so patriotisch wie narzisstisch in den
christlichen Heilsplan einbindet. Leitmotivisch gilt für diesen bizarren
Erzählcluster, der auf den apokalyptischen (Schlamm)Spuren des Joachim
von Fiore durch den Morast der Kriegshölle wandelt, die alte christliche
Konvertierungslogik: Je schrecklicher die Verhältnisse jetzt, desto großartiger
wird das Reich des Herrn sein. „Es ist merkwürdig genug, dass man sich
durch die furchtbarsten Gegensätze eine Vorstellung machen kann von dem,
was die Ewigkeit ist“, deutete Kierkegaard dieses christliche
Heilsmuster und theologische Kognitionsinstrument. Was der Philosophie und
ihrer Unterabteilung „Ethik“ längst nicht mehr gelang, die
Rechtfertigung der patriotischen Abschlachtung, leistet bei Léon Bloy die
Theologie.
Léon Bloy folgt literarisch expressiv den
Spuren der schwarzen Poeten und Romantiker, dem Marquis de Sade, Titus
Andronicus und unzähligen anderen Brüdern und Schwestern des Blutschweiß-Ordens.
Matthes & Seitz lässt es auch ein wenig buchkünstlerisch krachen,
wenn etwa bereits rote Seitenzahlen signalisieren, dass hier im
Erregungsmodus von Blut, Schweiß und Tränen erzählt wird. Für die ästhetische
Aufrüstung des blutigen Autoren hat der Verlag die Künstlerin Heidi Sill
verpflichtet, die sich im Blick auf den Zyklus „Cuts“ wohl auf
bildhafte Verletzungen versteht. Die vorliegenden Zeichnungen illustrieren
allerdings nicht den Schrecken, sondern sublimieren den „Blutschweiß“
zu mehr oder minder abstrakten Spuren, die mitunter etwas dekorativ
geraten. Am überzeugendsten sind die Arbeiten, die dem
sadomasochistischen Katholizismus Bloys in blutroten Fetischformen nachspüren.
Léon Bloy selbst ergeht sich erzähltechnisch in kinotauglichen Splatter-
und Gore-Phantasien, die so drastisch wie widerlich in der Erzählung
„Der Schlamm“ ausgereizt werden. Eine agonisierende Menge steckt im
Schlamm, was an mysophilen Ekelfantasien kaum zu übertreffen ist und bei
diversen christlichen Mystikern als „Gottesdienst“ entsublimierter
Widerwärtigkeiten bekannt ist. Zitat: „…Exkrementensauce…eine
Sauce, in der die Pocken- und Typhuskranken in die Entleerungen der Masse
einmariniert waren.“ Hier wird Bloys narzisstische Grunddisposition, das
Reine und das Unreine in christlicher Heilsgewissheit zu scheiden, überdeutlich.
Über die Juden schrieb er, der „Antisemit“
(Jorge Luis Borges), in „Das Heil durch die Juden“: „Sie werden
unweigerlich und übernatürlich von Gott selbst gezwungen, die
abscheulichen Schweinereien zu begehen, die sie benötigen, um ihre
Schande als ein Werkzeug der Erlösung zu beglaubigen.“ Den Reim
dieses Denkens hat Friedrich Nietzsche, der Zeitgenosse Bloys, so auf den
Punkt gebracht: „Dem Reinen ist alles rein – so spricht das Volk. Ich
aber sage euch: den Schweinen wird alles Schwein!“ Abgesehen davon, dass
Léon Bloys Tauchfahrt in die Innereren des Kriegs den verruchtesten
Bezirken der Seele gilt, in denen Lust und Unlust eine präzivilisierte
Einheit darstellen, sind es zugleich die tiefsten Tiefen, aus denen heraus
erst die christliche Erlösung und die unzähligen Opfer ihren Sinn
machen. Béla Grunberger und Pierre Dessuant haben in „Narzissmus,
Christentum, Antisemitismus“ diese „Opposition zwischen Materialität
und ihrem Gegensatz, also dem Himmelreich, dem Bereich des absoluten
Narzissmus, des heiligen Geistes“ als christliche Zweiteilung der Welt
dargestellt. Narzisstische Wut beseelt diesen reaktionären Katholizismus,
der bei der Wahl seiner Feinde allerdings nicht wählerisch ist, weil sich
zu Preußen und Bismarck alle Widersacher des erneuerten Katholizismus,
„Journalisten, Schriftsteller, Naturalisten, Symbolisten, Gläubiger,
Vermieter, Deutschland, England, Protestanten und laue Katholiken“
(Felix Johannes Krömer, FAZ) gesellen. Léon Bloy ist ein literarischer
Radikalkatholik, der in schönster Weise die christliche Grundierung der
immer wieder gekreuzigten Welt mit Blut bestätigt. Die Deutschen sind
primitive Bestien, die in Frankreich hausen und jede Strafe Gottes
verdient haben. Ein deutscher Offizier wird unfreiwillig zum Kannibalen
gemacht. So ist sie, die heimtückische französische haute cuisine,
wenn der Feind schmausen will. Die Preußen werden in einem Hause zu Tode
gebrutzelt, das zuvor von einem französischen Ehepaar, die von der
Soldateska gequält wurden, für dieses Brandopfer fein säuberlich präpariert
wurde. Krieg findet hier – lange vor der faschistischen Verkündung
Goebbels im Sportpalast – bereits in seiner totalen Form statt, ohne Rücksicht,
weil der Gegner auch jede Rücksicht vermissen lässt. Auge um Auge, Zahn
um Zahn, also altbiblisch bewährt und nicht neutestamentarisch. Dieser
Krieg ist uns historisch so nicht in Erinnerung, doch das ist für diesen
Autoren kein Thema. Gräuelpropaganda wurde im Zuge der stärkeren
Medialisierung der Ereignisse durch Zeitungen zu einem neuen Standard der
modernen Informationskriegsführung. Hier wussten beide Seiten je, den
Gegner zur Bestie zu machen, was bei Léon Bloy auch insoweit alles andere
als originell ausfällt. Auf dieser propagandistischen Ebene können Bloys
Texte aber nicht interpretiert werden, weil sie hier schlicht unsäglich
und degoutant erscheinen. Ihr eigentliches Vermächtnis ist der
restaurierte Diskurs des mittelalterlichen Schmerzensmannes, der im
industriell entfachten Orgien-Mysterien-Theater des Krieges in
unbeirrbarer Heilsgewissheit auftritt. Das Leiden ist Beweis für den
Glauben. „Wo sich die Liebe Gottes Geltung verschafft, fließt Blut.“
(Gerhard Vinnai, Jesus und Ödipus - Zur Psychoanalyse der Religion). Léon
Bloy bezieht diese vormoderne Position, die längst aufgegeben schien,
wider die Liberalisierungen, die naturwissenschaftlich ausgelösten
Erosionen des Katholizismus – gesättigt von jenem düsteren Schauer
schwarzer Romantik. Doch nicht nur Joris Karl Huysmans (1848
- 1907) und andere Décadents und Schwarzpoeten finden sich in Bloys düsterem
Kriegsentwurf literarisch wieder. Ihn unterscheidet, und das war schließlich
auch der Grund für das Zerwürfnis mit Huysmans, dass der Krieg und seine
Schauern Bekenntnisqualitäten besitzen, der Krieg ist Blutgottesdienst,
Prüfung und Erkenntnis zugleich. Helm auf zum Gebet, um tiefer in die
Wahrheit des Weltentwurfs einzudringen. Hier gilt der Kierkegaardsche
Wahrheitszeuge, der wahre Christ: „…er also betet sich in das Leiden
immer tiefer hinein. Je innerlicher er betet, desto mehr nähert er sich
Gott, und desto mehr setzt er sich im Leiden fest.“
Insofern schert sich Léon Bloy nicht um
Kriegswahrheiten, sondern instrumentiert als bellizistischer Wüterich
jenseits der Geschmacksgrenzen, was an Widerlichkeiten, Gülle aus den Köpfen
und Körpern quillt. Die Schrecken des Krieges werden in einigen
rauschhaften Geschichten Bloys so weit getrieben, dass er das Genre
wechselt und mühelos Horror-Erzählungen präsentiert, die auch von
H.P.Lovecraft stammen könnten. Dessen berühmte Erzählung „Pickmans
Modell“ über einen Maler, der aus äußerst finsteren Gründen
erstaunlich realistische Monster malen kann, gesellt sich Bloys „Haus
der Teufel“ ebenbürtig zu, in dem ein wirklich schlechter Maler, ein
„demoliteur“ anständiger Malerei so schreckliche Bilder schafft, dass
siebzig deutsche Soldaten im Angesicht des erhabenen Horrors sterben.
Nebenbei ist das eine amüsante Idee eines Künstlers, der sein Nichtkönnen
so entsublimiert, dass – in dieser paradoxen Wendung - der sublime
Schrecken real werden kann wie in Goyas dunklen Bildern der Spätzeit.
Der Renouveau catholique verinnerlicht, dass die
Neuzeit an das Mark seiner Veranstaltung geht, was nur in der Rückbesinnung
auf grenzenlosen Narzissmus, Realitäts- und Wissenschaftsverzicht
aufgehalten werden kann. Im Blick auf Léon Bloy stellen Béla Grunberger
und Pierre Dessuant die rhetorische Frage: „Wenn der Mensch dazu neigt,
Gott zu sein; wenn er Gott in sich enthält, wenn er von Gott ausgeht –
warum sollte er sich dann dem logischen Denken unterordnen, dieser
gleichsam fleischlichen Hervorbringung seines Geistes, die ihn in die
Endlichkeit zurückwerfen würde?“ Um diese Hintergründe besser zu
verstehen, hilft der hervorragende biografische Essay des
Bloy-Spezialisten Alexander Pschera weiter, den zarter besaitete Gemüter
vielleicht vorab lesen sollten, um nicht alle Hoffnung fahren zu lassen,
wenn sie in die Kreise dieser Hölle eintreten. Erst in dieser luziden
Darstellung zur Kontextualisierung des vorliegenden Werks im Denken des
Dichters werden das literarische Monstrum „Blutschweiß“ und Bloys
Selbstversuch der „imitatio christi“ rekonstruierbar.
Léon Bloy ist – biografisch betrachtet - das
psychosoziale Musterbeispiel eines „underdogs“, der am Rand der
Gesellschaft zu lange vergeblich Akzeptanz suchte, die er doch in seinem
narzisstischen Selbstverständnis verdiente. Seine ökonomische
Erfolglosigkeit, Familientragödien, die ständige Existenz am Rande des
Minimums bis zum Hunger bestimmen seine Hasspolitik. Hier hilft – wie so
oft - nur noch der Herrgott, der einen zugleich in diesem tiefsten Leiden
„de profundis“ adelt. „Blutschweiß“ ist eine verzweifelte
Theodizee, weil nur noch eine Theodizee den Wahnsinn retten kann. In die
von Jung C. G beschriebene symbiotische Beziehung zwischen Gott und dem
narzisstischen Menschen schließt Léon Bloy Frankreich mit ein: Die neue
heilige Dreifaltigkeit heißt Gott, Narziss und Vaterland. Die Darstellung
des malträtierten Frankreichs ist zugleich eine Selbstbeschreibung, die
auf höherer Ebene den so tief in der Niederlage enttäuschten
Patriotismus in ein eschatologisches Geschichtsbild aufhebt. Alle diese Fäden
laufen im mytho-theo-poetischen Text zusammen, dem einzigen Ort, wo die
paralogische Harmonisierung des Wahnsinns mit der göttlichen Vorsehung
gelingt. „Blutschweiß“ ist das Psychogramm eines Dichters, für den
man reklamieren darf, dass seine spätmoderne Geworfenheit ihn im wahrsten
Wortsinne den immer flüchtigeren Gott mit Macht entdecken ließ, was
paradigmatisch für viele Gottsuchen und Konversionen jener Zeit steht. Es
repräsentiert aber zugleich einen nicht von Léon Bloy erfundenen
unglaublichen Pragmatismus religiöser Welterklärung, jedes Schicksal,
jede Kontingenz, jeden Irrsinn in einer Konstruktion zu salvieren, in der
alles ad maiorem dei gloriam geschieht – weil anders das Rettende
nicht zu finden ist.
Lektüretipps:
Bela Grunberger/Pierre Dessuant: Narzissmus, Christentum, Antisemitismus.
Eine psychoanalytische Untersuchung. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2000
Alexander Pschera: Léon Bloy. Pilger des
Absoluten. Edition Antaios 2006.
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