Konsumania
Angeblich erfährt der Mensch in der letzten Minute seine
Existenz als filmische Kurzfassung. Ob man sich so angemessen zur letzten Ruhe bettet,
erscheint mehr als zweifelhaft. Nihil nisi bene de mortuis, aber für einige wird das eher
ein böses Erwachen werden, wenn es zu spät ist. Wieder andere kämen mit zehn Sekunden
für den total recall ihrer Lebenszeit bequem aus. Zum Beispiel Finanzbeamte. Der Film
wird jedenfalls kurz vor Sendeschluss zurückgespult, Jahrzehnte werden
zusammengeschnitten zum letzten Videoclip nach Viva und MTV, die Bilanz unseres
Erdenwallens für das jüngste Gericht: Geburt, Kindheit, Jugend, Schule, Prüfungen,
Arbeit, Beruf, Heirat, Kinder, Eigenheim, Rente (vielleicht eher nicht).
Das sind aber nur die offiziell dokumentierten
Marksteine fast jeder Existenz nach dem Motto: Von der Wiege bis zur Bahre, Formulare,
Formulare - bis eben zur letzten Instanz. Aber jetzt gilt es, andere Höhepunkte zu
fixieren. Wir bekennen uns zu unserer reinsten Alltäglichkeit, unserem exzessiven
Verbraucherdasein, Tausenden von Kaufakten und freigiebig gewährten Dispokrediten, die
uns zu dem gemacht haben, wovor uns unsere Eltern nicht gewarnt haben. Wir reden von den
Irrungen und Wirrungen unseres Käuferschicksals, das sich teuer erkaufte, was nur zu
billig war. "Ich kaufe, also bin ich" heißt die lustvolle Befreiung von
quälenden Verbraucherzweifeln, für die sich heute keine Religion mehr zuständig
erklären kann, weil Religionen nur ein kleines Sortiment von Sakramenten anbieten und -
seitdem unseligerweise keine Ablassbriefe mehr verkauft werden zudem kostenlos.
Wir bekennen: Oft haderten wir mit dem Sinn des Lebens
und nur weil dieses mit seinen köstlichsten Leimruten ins Land lockte, wo Traum und
Wirklichkeit eins werden, haben wir es noch ausgehalten. Fantasten behaupten, wir würden
Dinge kaufen, weil wir sie brauchen. In unseren überlasteten Haushalten geht indes der
Grenznutzen gegen Null. Wir brauchen im Prinzip gar nichts mehr - außer eben den Konsum
selbst. Auch hier gilt also: The message is the medium. Dem Geschwätz vom Lebenserwerb
und seinen Notwendigkeiten gewinnen wir keinen Handmixer mehr ab. Wenns nach der
Notwendigkeit ginge, wären wir ohnehin nie zur Wirtschaftswundernation mutiert. Ein
Blumenbesteckset, um Gummibäume zu kultivieren, war ungefähr so notwendig wie das
"Drahteselchen", das eine Chiantiweinflasche übers sideboard zu den
Salzbrezelminen schleppte. Form follows function? Eher folgte Förmchen auf
Förmchen.
Es herrschte in der Infantilität der Republik der
horror vacui, dass noch irgendein Plätzchen im Wohnzimmerchen ohne Schmuckdeckchen sei.
Der Diminuitiv, die Verkleinerungsform, war Bürgerpflicht und wer glaubte, nach Auschwitz
könne man keine Blümchen mehr malen, sah sich in der krachbunten Florealästhetik der
Tapetenverbrechen arg getäuscht. "Ornament ist Verbrechen" hatte Adolf Loos
für den neusachlichen Lifestyle dekretiert, aber das bekümmerte unsere gemusterte
Plüschseligkeit und Velourorgiasmen wenig. Nicht nur unter den Teppich kehren, war
postgermanische Moral, sondern vor allem teutonisches Deko drüber, totaler und radikaler,
als wir es uns je vorgestellt hatten. Entnazifizierung überm Nierentisch - und vorbei der
ganze Albtraum. Lenin hatte prophezeit, dass Ästhetik die Moral der Zukunft sei und wer
zu spät kommt, den bestraft der Kitsch. Wir wollten keinen Kitsch schaffen, weil wir ja
nicht für das Böse im Wertsystem der Kunst (Hermann Broch), sondern im Leben zuständig
waren.
Wir produzierten rückhaltlos um des Konsums willen und
wer nicht konsumieren wollte, wurde zum Verräter am Marshallplan und allen anderen
Sakramenten westlicher Pflichterfüllung. Schön war die Zeit, als Peter und Conny
"sexual correctness" als Perversion der dritten Art inszenierten,
Bosch-Kühlschränke zum Sanktuarium jeder Küche erhoben wurden und Altkanzler Ludwig
Erhard die Parole paffte: "Wohlstand für alle". Schön war die Zeit, als wir
noch mit der Konjunktur gingen und den Kriminaltango deutscher Spießerherrlichkeit durch
Tante Emmas Laden hin zur Käsetheke schoben. Edelweiß und Alpenrausch, Eierpunsch und
Hoolahup...Aber irgendwann ist Kaba, der Plantagentrank, ausgetrunken - ob die Kakaobohnen
nun von schwarzen Sklaven oder aufrechten Afroamerikanern gepflückt sein mögen.
Inzwischen löst die deutsche Wiederaufrüstung des
Verbraucherparadieses betroffenste Betroffenheit aus. Viele Verbraucherträume sind
verbraucht und an einigen Fronten vormals fröhlichen Konsumierens verbreiten sich Apathie
und Defätismus. Was ist geschehen? Seit 1945 ohne Krieg, keine Hungerkatastrophen und
selten die späte Gnade von Überschwemmungen oder Hausbränden, die unsere
konsumistischen Altbestände entsorgt hätten. Wir leben weder in Bagdad noch im Kosovo
und das Millennium mit immer neuen Ankündigungen eines spätmodernen Lebensstils steht
bevor. Die Zukunft schielt vorwitzig aus dem Internet, flüstert uns immer neue
Bedürfnisse ein, aber wir hüten unsere Reliquien der letzten Jahrzehnte. Unsere Keller
und Speicher sind voll wie spanische Gewürzkaravellen. Unsere Kleiderschränke bersten
unter der Last von Armani, Calvin Klein, Boss und ungezählten anderen Feingeistklamotten.
Wo zuvor noch freie Ressourcen Hoffnung ließen, lagern
jetzt Tchibos komplette Sonderangebote, Massageroller für Cellulitiskörper, rostfreie
Orangenschälmesser und der hundertste Radiowecker. Unsere Eigenheime mutieren zu
opulenten Konsumpalästen, gekrönt von Neonippes, Bastherzchen und getöpferten
Klingelschildern. Das alles und noch viel mehr gehört zu mir, wie mein Name an der Tür.
Unsere heimischen Gestade sind reich: Gegenstände ungewisser Herkunft, hochgespült von
Kaufräuschen, Aufdringlichkeiten der Werbeindustrie und hochnotpeinlichen
Fehlentscheidungen beim Schenken und Beschenktwerden. Geschenkt!
Der Konsumnotstand wird ausgerufen: Familiäre
Planungsstäbe müssen jetzt militärlogistisch entscheiden, was noch hereinpasst, weil
ungefiltertes Konsumieren uns gnadenlos in die kollektive Asozialität abgleiten lässt.
So genannten "messies", pathologisch in ihren Kram- und Unratslandschaften
Desorientierten, hilft längst kein Sextant oder anderes nautisches Gerät mehr, ihre
Kostbarkeiten zu orten. Wo ist die goldene Krawattennadel, die Omi letztes Jahr zu
Weihnachten verbrochen hat? Freilich liegt zwischen der Gnade des Wiederfindens und der
Gnade des Verlusts kein kategorialer Unterschied. In der Dialektik des Besitzenwollens
wissen wir längst: Wer viel hat, hat wenig, weil sich die Schätze auf dem Boden unserer
Arsenale unwiederbringlich verabschieden, verborgen hinter den Käufen der letzten Jahre.
Galt zuvor: Uns gehört die Welt, sie ist käuflich, also kaufen wir, so weit die
Kreditkarten tragen, so gilt jetzt: Ordnungssysteme müssen her, um die außer Rand und
Band geratene Dingwelt im Lot zu halten. Neue Käufe könnten den heimischen Supergau
auslösen.
Jahrzehntelang wurden wir konditioniert, zu nehmen, was
wir kriegen konnten. Früher endete etwa jeder Tankstellenbesuch mit Werbegeschenken,
Schlüsselanhängern, Wischtüchlein oder Sammelbildern für die, die den Tiger im Tank
hatten und gehäkelte Toilettenrollen mit dem eigenen Autokennzeichen auf der Rückablage.
Heute herrschen gnadenlos dumping-Preise über unsere fragile Willensfreiheit. "Des
Menschen Wille ist sein Tengelmann" lautet die entfremdete Moral der Käuferseelchen
nicht nur, wenn der Sommerschlussverkauf den Ausschuss der Saison an die Warengläubigen
verhökert. Aufklärung wäre allein der Ausgang des Menschen aus dem selbstverschuldeten
Aufenthalt bei Aldi. Aber wenn zwei Boxershorts 7,95 DM kosten, rast das Blut und der
Verstand schweigt fein still. Keine erfolgreiche Absetzbewegung bei Plus, wenn das
Universallexikon auf CD-Rom für 19,95 DM verschleudert wird und humanistische Bildung
sich auf eine Suchfunktion von windows reduziert. "Hier stehe ich und kann nicht
anders" sagte schon Luther und wir verstehen die ganze grausame Wahrheit, wenn wir
bei "Hennes & Mauritz" weilen. Aber Konsum heißt nicht nur verbrauchen, Konsum ist eine
Weltanschauung, ja mehr, Welteroberung aus dem Geist ägyptischer Grabbeigaben. Wir sind
längst wieder in die Stammesgeschichte der Jäger und Sammler zurückgekehrt.
"Horten" hat es auf den Punkt gebracht, da lichtet bereits im Logo die Wahrheit,
Heidegger hätte seine helle Erkenntnis daran gehabt, während "Spar" uns zur
armseligen Lüge gerinnt - vor allem wenn das Haltbarkeitsdatum linksdrehender
Milchsäuren abgelaufen ist. Wer hortet, schreibt also Geschichte, seine eigene
Lebensgeschichte. Der smalltalk unserer Alltäglichkeit wird von immer neuen Kaufoptionen
beherrscht. Prozessorgeschwindigkeiten, DVD, Skibindungen, Airbag-Ausstattungen,
Pauschalreisen und Myriaden anderer Kostbarkeiten bestimmen den gegenwärtigen Diskurs der
konsumistischen Welterschliessung nicht weniger als zuvor die res publica, das Weltelend
aufrechten Demokraten im Gespräch angelegen war. Keiner wagt zu bekennen, dass das
Hungersterben in Afrika zur Marginalie wird, wenn "Bofrost" die Langusten frei
Haus liefert.
Werden Archäologen des dritten Jahrtausends
ehrfürchtig unsere Heimtrainer mit Hausgottheiten verwechseln, Ottokataloge als
Evangeliare bestaunen und Tamagotchis als Voodookultobjekte? Konsum ist die Liturgie
Alteuropas und Wohnzimmer inszenieren sich als sakrale Räume unserer Passionsgeschichten.
Wir tragen feuchtfröhlich das allgegenwärtige Kreuz des Käufers, wenn der kanadische
Billig-Rotwein den Bordeuaux rotbeschämt in der Ecke stehen lässt. Jede Konsumhistorie
wird dokumentiert in unseren zu Wohnmuseen gewordenen Kaufentscheidungen. Zeig mir deinen
überquillenden Kleiderschrank und ich sage dir, wer du bist. Die E-Klasse von Mercedes
wirbt denn auch gleich trend- und selbstgerecht für ihre Karossen mit dem Slogan
"Entwicklung der Persönlichkeit". Kauf als Persönlichkeitsentwicklung hat den
Entwicklungsroman verdrängt, den frühere Zeitgenossen noch als Biografie ihrer
Selbstreifung leben mussten.
Selbsterkenntnis heisst ab jetzt Markengeschichte.
Unsere Lifestylehistorie schreibt sich von Schlaghosen über Röhrenjeans bis hin zu
Plateausohlen für Selbstquäler, vom Schneewittchensarg über Myriaden von Videocassetten
bis hin zu Lara Croft und "Resident evil", von "Karl May" über
"Thomas Mann" (alternativ "Bert Brecht") bis zu AOL. Wir besitzen
einfach alles: Die alte Vinylplatten-Sammlung mit dem Stelldichein von Beatles, Rolling
Stones, Neue Deutsche Welle, Depeche Mode bis hin zu den Silberscheiben von Prince, Puff
Daddy, Blümchen und anderen popbotanischen Irrläufern kultureller Evolution. Und die
besseren Mumien immer währender Wiederkehr: da capo - noch einmal auf CD-ROM. Gekauft
oder schwarz gebrannt, welcher Hahn wollte danach noch krähen, wenn die Silberoblaten in
der häuslichen Monstranz auf kratzfreien Einsatz warten. Gleich neben der prallen
Video-Sammlung, die in schizophrener Fröhlichkeit den flüchtigen Zeitgeistglotzern weder
deutschen Heimatfilm, italienische Softpornos, All-American-Soapoperas oder neudeutschen
Serienkitsch erspart. Gute Zeiten, schlechte Zeiten oder Tagesthemen das ist
robusten Allesfressern kein signifikanter Unterschied, wenn die remote control den
Zeitgeist sattelt. Wenn wir unsere Viertel- bis Halbbildung von morgens bis abends mit
Nachrichten aus der bunten Welt da draußen anrümpeln, uns für nichts zu schade sind,
weder "Fliege" noch Bärbel Schäfer auslassen, bleibt nur der Schluss: Unsere
geistige Inneneinrichtung folgt kongenial dem Kaufrauschparadies, das wir vormals
zärtlich Wohnung nannten. Inzwischen bewohnen wir die kärglichen Nischen, die uns die
Dingwelt noch überlässt.
Nun könnte man den voreiligen Schluss daraus ziehen,
wir sollten unseren Kindern eine bessere Welt vermitteln, die wieder Menschenmaß in den
Konsum einziehen lässt, aber wir nehmen den Dummspruch ernst, dass wir die Welt nur von
ihnen geliehen haben. Sie kriegen das, was wir schon nicht brauchten - geliehen ist eben
nur geliehen. Sollen sie sehen, wie weit der gnadenlose Spaß reicht. Spielzeug? Kinder
brauchen Spielzeug, so oder ähnlich formulierte Bruno Bettelheim seine Märchen für
Erwachsene. Und wir machen es den Nachwuchsterroristen ungehemmten Besitzens nicht
einfach, wenn wir den zur Kaufseele deformierten Weltgeist in das überbordende
Kinderzimmer lassen. Unsere Rache für kindlichen Trotz wider unser besseres Wissen: Ihnen
alles in den Rachen werfen, jeder Geburtstag eine Apokalypse der neuesten pets, aber auch
kistenweise Lernspielzeug, bis die kindliche Seele ein mixtum compositum aus Disney,
McDonalds, Lego, Playmobil und Struwelpeter ist. Geschenkt? Geschenkt wird inzwischen nach
Panzergeneral Guderians Regel für überzeugende Blitzsiege: Nicht kleckern, sondern
klotzen. Angefangen mit Barbie, diesem platonischen Plastik gewordenen sexuellen
Missbrauch, beendet mit...niemals beendet. Barbie hat inzwischen mehr Klamotten als ein
professioneller Transvestit für ein Dutzend Loveparades braucht. Selbst Pariser
Feinschneider arbeiten für Barbies barbarische Anziehzwänge und Ken darf schließlich
auch nicht nackt dastehen.
Jedes Kinderzimmer werde ein
überfließendes Zeughaus
pädagogischer Allmacht und Herrlichkeit. Besser noch: Kraft aus Freude - am kindlichen
Spiel. Geschenke wie Prügel, aber auch an Stelle von antiautoritären Erbärmlichkeit.
Oder wer erinnert sich nicht an diese dreckigen, spielzeuglosen Kinderläden der
70er-Jahre, die selbstverständlich aus den führungslosen und konsumarmen Elenden mit den
Wuschelköpfen autoritäre Jungmanager mit Infarktgarantie und Bürstenhaarschnitt gemacht
haben, weil das die angemessene Bestrafung ihrer selbstgefälligen Eltern ist, die sich
inzwischen in die Toscana abgesetzt haben. Kinderkram? Wegwerfkultur? Glaubt nicht den
schnöden Ideologen der Junk-Kultur, das wäre alles wieder verwertbarer Abfall mit
sozialverträglicher Frühablebensgarantie. Werft um Gottes Willen kein altes Spielzeug
weg! Matchbox der frühen Jahre ersetzt jede Altersrente in den Zeiten freudloser
Zukunftsperspektiven und leerer Staatskassen. Wenn obsessive Sammler auf der Suche nach
der verlorenen Zeit ihre Vitrinen füllen, zahlen sie jeden Preis für den Sch... Die
alten Fix und Foxi-Hefte, Mickey Mouse, Superman, Batman, aber auch die alten
Spielzeugkataloge - hebt sie in Klarsichtfolien auf, gebt sie vor allem nicht in die
klebrigen Narrenhände von Kindern!
Diese polychromen Kostbarkeiten lassen sich nicht
redigitalisieren oder scannen, vergilbt müssen sie sein, patinierte Geschichte, unsere
ureigene Geschichte des schlechtesten Geschmacks, seit es Waren gibt. In der "Hall of
fame" warten sie auf ewige Wiederkehr. Kein Plastikgeschöpf unter der Sonne, das wir
nicht vor dem Vergessen retten. Etwa Lurchie oder Unkerich, allein die Namen der
Protagonisten unserer Jugend sind unüberbietbar. Ninja Mutant Killer Turtles machen keine
Schnitte, wenn Lurchie in bester Skinhead-Manier seine Widersacher mit Salamanderschuhen
niedertrampelt. Und Lurchies gesammelte Abenteuer sind längst als repräsentative
Bibliothek für die Zöglinge der Salamander-Welt erschienen. Ein bisschen Spaß, will
sagen Gewalt, muss sein, wenn der Massenmord an den "Gilbs" und anderen
Schmutzteufeln der Waschmittelbranche gelingen soll. Oder etwa das HB-Männchen, das
vermutlich an einem karzinogenen Werbeverbot verstarb, obwohl es doch unschuldig klar
machte, dass Kettenraucher mit Kippe besser denken können. Oder die weiße Jungfrau von
Persil auf grünblechernem Grund, 40.000 DM als Auktionslos sind doch nicht viel für eine
unbefleckte Waschpulverodaliske, die auch der Weiße Riese nicht besser hätte abbürsten
können. Weisser gehts jedenfalls nicht, wenn politisch unkorrekte Negerkussflecken die
Schlabberlätzchen verdreckt haben. Hart gefolgt von Tilly, die für unzählige
Hautallergien verantwortlich war, die Hausfrauen guten Glaubens ereilten, weil sie
Maniküre mit Geschirrspülen verwechselten.
Was geht mich noch der Regenwald und Artensterben an,
wenn meine nostalgischen Biotope auf dem Speicher von Neukäufen gefährdet werden.
Wegwerfen ist der ökologische Sündenfall, Sperrmüll der Untergang des Abendlands.
Rettet die Wale, meinetwegen, wenn sie aus taiwanesischem Hartplastik mit hydraulischer
Schwimmflosse und mindestens zehn Jahre alt sind. Sammelt Ü-Eier, die kulinarischen
Miniaturoffenbarungen für Leute, die vergessen haben, wie Schokolade wirklich schmeckt.
Wer behauptet, das wäre keine Offenbarungen, wenn fünfzig Eier auf Verdacht gekauft und
aufgebrochen werden. Vielleicht ist der Kanzler ja auch ein Ü-Ei-Typ, aber wen
interessiert noch das grünrote Kabinett, wenn er ein Komplettset blauer Schlümpfe
besitzt. O tempora, o mores, die Zukunft gehört dem Flohmarkt, dieser huldvollen
Umwälzpumpe der ewigen Wiedergeburt. Besucht Flohmärkte, um Lücken in eurer
lebenslänglichen Konsumbiografie zu schließen. Vielleicht einen Paisley-Schal oder ein
Wagenfeld-Teeservice, alt und angestoßen, aber nicht reproduzierbar. Walter Benjamins
Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit findet für authentische Konsumenten nicht
statt: Repliken sind alteuropäische Barbarei. Alte Emailleschilder, Blechdosen,
Telefonkarten besitzen jetzt erst die Ästhetik, die sie nicht hatten, solange sie einen
gesellschaftlichen Dienst erfüllten. Jetzt werden sie frei. Heute gilt Baudrillards
"Aufstand der Objekte": Konsumartikel aller Länder erhebt euch! Gegen
Entfremdung der Dingwelt durch Zwecke, für den Überfluss des Überflüssigen.
Konsumiert, bis ihr verreckt. Eure Kinder werden es euch danken.
Goedart Palm |