Il faut décourager les génies
Repräsentiert Gustav Klimt noch ein ernst zu
nehmendes ästhetisches Konzept oder ist das eine hybride Deko-Malerei, die wir
getrost in die Archive bzw. Auktionen verräumen sollten? Ästhetisch erscheinen einige
Werke Klimts grenzwertig. Nun ist das der historische Preis, den viele Künstler zahlen
müssen. Signifikant ist das "evolutionäre Tempo" der Stile,
die Klimt verarbeitet. Es gibt bei vielen so genannten Großen ästhetische
Grenzfälle, die indes die Nachwelt nicht rechtfertigen muss. Der
Diskurs läuft zumeist so, dass Künstler kanonisiert werden. Klimt ist
in besonderem Maße Opfer dieser Kanonisierung geworden. Seine Marke
macht alles gut. 2012 wird Gustav Klimt anlässlich seines 150-jährigen
Geburtstags geehrt. Gustav Klimt ist in
vielfacher Hinsicht ein Maler der Superlative. Gustav Klimts berühmte "Gold-Adele" soll
im Jahre 2006 von den Erben für 135 Millionen US-Dollar verkauft
worden sein. Adele Bloch-Bauer II wird in demselben Jahre für
rund 88 Millionen US-Dollar ersteigert. Die Chance, einen Museumsshop zu
besuchen, der keine Tassen oder Krawatten mit Klimt-Motiven führt, ist äußerst
gering. Wohl nur noch van Gogh hat eine solche Rezeption auf
allen Ebenen des "cross-merchandizing" erfahren.
Klimt ist nicht nur als Maler, Zeichner und Grafiker
ein kunsthistorisches Ereignis.
Klimt ist inzwischen längst eine hochrangige Marke geworden. Diese
Entwicklung ist vorderhand erstaunlich. Klimt hat nur wenige große
Malereien hinterlassen. Die Porträts nahmen viel Zeit in Anspruch und
der Meister haderte oft genug mit sich. Auftraggeber mussten mitunter lange
warten. Klimt stammte aus einer eher armen Familie, aber hatte Geschick,
wenn es um eine künstlergerechte Preispolitik ging. Nach seinem Einzug
in die Wiener Hautevolee
wurde er zu ihrem Star. Der Vorwurf, er sei seinen Modellen nicht immer
gerecht geworden, ist ästhetisch unplausibel. Seine Porträts sind
zuvörderst abstrakte Bildlösungen, wenn er auch hin und wieder mit der Ähnlichkeit
seiner Modelle rang und
nicht immer dafür gelobt wurde. In Zeiten der Fotografie ist die
Aufbewahrung von Erinnerungen kein echtes Kapitel der Malerei mehr, was
Missverständnisse bei den "Porträtierten" begünstigt. So
mag erst heute die Zeit gekommen sein, Klimt in seinen Abstrakten
jenseits seiner Figuren und sinnlichen Verführungen besser zu
verstehen. Das erotische Kapitel Klimts ist ein projektiv
aufgeladener Salon der Lüste. Klimt wurden unzählige uneheliche Kinder
nachgesagt, die zum größten Teil wohl mit der Fama gezeugt wurden. Der
Film "Klimt" bedient sich auch dieses Themas, was längst
erstaunlich ist, da die Sinnlichkeit des fin de siecle und in den ersten
Jahren des 20.Jahrhunderts eine antiquierte Façon ist.
In der Klimt-Euphorie wird tunlichst übersehen, dass es
erheblich mehr als den Gold-Klimt und den lüsternen Zeichner gibt. Seine Landschaften sind zwar
bekannt, fristen aber ein - paradox formuliert - Schattendasein. Hier
liegt eine Antinomie vor, die seine gesamte künstlerische Biografie
durchzieht: Einerseits die unprätentiöse,
geradewegs arme Landschaft, andererseits die Malerei im Boudoir.
Klimts Erfolg, der posthum ständig weiterwuchs, ist ein
kunstsoziologisch intrikates Kapitel, das diverse Erklärungsansätze
aufbietet. Zentral für Gustav Klimts Geltung ist seine ästhetisch überbordende Malerei, die
Jugendstil, Impressionismus, fernöstliche Malerei (Ogata Kōrin), Matisse und andere zu einer
genuin eigenen Bildsprache verkoppelt. Berührungsängste gibt es in
dieser Kunst nicht, so wenig sie gleichwohl reklamieren könnte, frei
von Manierismen zu sein. Klimt lebte ästhetisch bzw. kunstgeschichtlich
auf einer
brisanten Schnittstelle, wo es galt, viele Einflüsse zu absorbieren und oft
disparate Momente zu vereinen. Darin liegt seine künstlerische
Lebensleistung. Klimt ist exzessiv und
kontrolliert zugleich. Die ästhetische Polyvalenz seiner Malerei bis hin zum Risiko,
ein einheitliches Bildkonzept aufzulösen, wenigstens aber damit zu
spielen, ist ihr Spezifikum. Klimts Rezeption trägt dem nicht jederzeit
Rechnung. Klimt selbst hatte vor Kitsch sicher keine Angst, aber er
überschreitet diese Grenze nicht, sondern definiert sie. Als Aufdruck
für das Kaffeeservice oder Handtücher fallen diese Grenzen. Klimt wird
und wurde "verkitscht", weil Ornament, Gold und Farbe sich als
Muster aufdrängen und zu einer ornamentalen Melange verrührt werden. Das ist nicht Klimts "Verbrechen", eingedenk des Diktums
von Adolf Loos, dass Ornament immer Verbrechen ist. Klimts
Ornamentalistik stellt sich oft gegen Abundanz und Barockisierung des
Materials. Hier liegt eine interessante Linie, die sich immer wieder die
letztlich kontingent bleibende Frage vorlegt, wo das Ornament endet, wo
es beginnt und vor allem, wie viel Raum ihm zu gewähren ist. Das
Ornament ist eine ästhetische Provokation, die in der Klimt-Euphorie
ausgeblendet wird.
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