Welche Ethik gilt hier? Wie kann man nach
Grundsätzen in einer Welt leben, die keine hat. Ghost Dog - genial
gespielt von Forest Whitaker ist Schüler des "Hagakure". Im Buch der Samurai
finden sich die Regeln, nach denen er lebt. Besser: Zu leben versucht. Es
ist gut, Regeln zu haben. Aber ist die Welt überhaupt geeignet, solche
Regeln auf sie anzuwenden? Die Tragik des Ghost Dog ist, dass seine
Konzeption aus dem Hagakure nur bedingt mit der widerspenstigen
Wirklichkeit korreliert. Sein "Fürst" ist ein höchst
zweifelhafter Mafioso, der weder persönlich integer (nach
Mafia-Grundsätzen!) ist noch genießt er ein besonderes Ansehen in seinem
Clan. Aber als treuer Gefolgsmann kann man sich seinen Fürsten nicht
aussuchen. Was aber, wenn die Widersprüche komplexerer Machtstrukturen
die Gefolgstreue so schwierig machen? Im Lauf der Erzählung ist der Ghost
Dog gezwungen, zwei Mal auf seinen Fürsten zu schießen, um dessen
Integrität (!) gegenüber den anderen Mitgliedern des Clans zu
sichern.
Der Ghost Dog ist Auftragskiller, korrespondiert nur über
Brieftauben und lebt auf dem Dach eines Hochhauses. Sein Werkzeug ist eine
Laser-Zielgerät-Pistole, die als Samurai Schwert herhalten muss. Er liest
viel und zur Einstimmung hört er - sehr zeitgemäß - den HipHop von RZA".
Der Pate (Henry Silva), der ihn vernichten lassen will, weil es beim
letzten Auftrag Komplikationen gab, ahnt, mit wem er es zu tun hat. Ein
per Brieftaube übermittelte Kriegserklärung löst seine Achtung aus:
"Das ist Poesie. Die Poesie des Krieges". Auch später, als er
wehrlos vor der Mündung der Waffe des Geister-Samurais steht, kennt er
seinen Kodex. Er knöpft seine Jacke zu und lässt sich erschießen,
nachdem er festgestellt hat, dass er ohnehin wusste, dass sein Feind
kommen würde, er mithin sterben würde.
Wie soll der Ghost Dog Gefolgsmann bleiben, nachdem er die
Familie seines "Fürsten" ausgelöscht hat. Der Showdown ist
unvermeidbar. Die japanische Lehre aus dem 18. Jahrhundert hilft hier
nicht mehr wirklich weiter, wenngleich ihre Todesbotschaft gilt. Es kommt
zum Showdown à la americaine. Der Ghost Dog zieht eine nicht
geladene Pistole und lässt sich vom "Fürsten" erschießen. Der
Tod lässt jede Lebensregel, die als solche gelten darf, wahr werden. Das
Leben selbst ist schwieriger. Just die Zeugin, die seiner Identität bei
dem verfehlten Auftragsmord gewahr wurde, wird zur neuen Patin. Der Fürst
ist auch nur ein Gefolgsmann und sein Motiv, den Showdown mit seinem
Gefolgsmann zu suchen, dürfte nur ein Auftrag der ranghöheren Patin
sein. Man könnte Ghost Dog daher auch als Ironie verstehen, dass
Regeln letztlich tödlich sind, wenn sie gegenüber der Wirklichkeit
versagen und den Tod ohnehin glorifizieren. Mit anderen, paradoxen Worten:
Es gibt keine Samurais mehr und wer sich dafür hält, bezahlt - so oder
so - mit seinem Leben. Dadurch aber beweist er sich als Samurai, was
wiederum die Gültigkeit der Regel belegt. Regeln sind immer
Wirklichkeitskorrekturen, die entweder helfen zu leben oder - zu
sterben. Das Prekäre des späteuropäischen Lebens besteht aber
darin, dass sich jeder seine eigenes Regelwerk beschaffen muss, weil die
Großdogmatiken mit ihren zahllosen Regeln immer stärker an
Plausibilität verlieren. Mit anderen Worten: Ethik wird zur
Privatangelegenheit, was zwar kategorische Lösungen nicht ausschließt,
aber interkommunikative Verständigungen immer unwahrscheinlicher werden
lässt. |